„Undine geht“, Ingeborg Bachmann
Allgemein:
Undine, französisch „ondine“, bedeutet Wassergeist, Nixe, aber auch Welle.
Die Figur der Undine entstammt der Sage um das Rittergeschlecht der Staufenberg, welche in Gedichtform erstmals 1320 erschien. Undine ist ein Elementarwesen, welches Wasser verkörpert, und tritt als dienende Begleitung von Göttern in Erscheinung. Bekannt durch ihren Gesang, ist sie auf der Suche nach einer Seele (ihrer!), die sie erst bekommt, sobald sie sich mit einem Mann vermählt. Bei seiner Untreue bringt sie dem Ehemann den Tod.
Interpretation „Undine geht“:
Die als Monolog geführte Erzählung von Bachmann setzt sich auf eigenwillige Art mit dem aus der Romantik kommenden Stoff der Undine auseinander.
Es geht um die unterschiedlichen Auffassungen und Spannungsverhältnisse zwischen Mann und Frau und wie diese sie ausleben. Dabei wird die Relation der Gemeinsamkeiten und Ansprüche an sich und an den jeweils anderen stark beleuchtet und überhöht. Trotz der Euphorie zu Beginn endet die Beziehung dennoch in Trostlosigkeit und einem Auseinanderleben.
Undine, die ihren „Hans“ (steht für alle Männer) liebt, will sich nicht mehr länger unterwerfen und wird nicht nur von diesem verlassen, sondern verlässt ihrerseits. Sie emanzipiert sich.
„Guten Abend.“
„Guten Abend.“
„Wie weit ist es zu dir?“
„Weit ist es, weit.“
„Und weit ist es zu mir.“
Die Untreue, das Verlassenwerden, das Ausnutzen der Machtverhältnisse des Mannes, die gesellschaftlichen Erwartungen werden in dieser Erzählung nicht nur mit Vorwürfen gegenüber Hans quittiert, Undine selbst erkennt die Situation, in die sie sich gebracht hat, und will sich aus dieser befreien.
„Ich werde nie wiederkommen, nie wieder Ja sagen und Du und Ja.“
In diesem Text wird auch die zu dieser Zeit, es ist der Beginn der 60er Jahre, herrschende Vorstellung der heilen Welt der Ehe und Familie in Frage gestellt. Die Liebe zwischen Mann und Frau, in der sich die Positionen immer weiter voneinander entfernen und doch aus dem Beziehungsmuster nicht ausbrechen können.
In einem viel zitierten Interview vom 5. November 1964 antwortet Ingeborg Bachmann auf die Frage, ob die Erzählung „Undine geht“ ein Selbstbekenntnis sei, mit folgenden Worten:
„Sie ist meinetwegen ein Selbstbekenntnis. Nur glaube ich, dass es darüber schon genug Missverständnisse gibt. Denn die Leser und auch die Hörer identifizieren ja sofort – die Erzählung ist ja in der Ich-Form geschrieben – dieses Ich mit dem Autor. Das ist keineswegs so. Die Undine ist keine Frau, auch kein Lebewesen, sondern, um es mit Büchner zu sagen, ‚die Kunst, ach die Kunst‘. Und der Autor, in dem Fall ich, ist auf der anderen Seite zu suchen, also unter denen, die Hans genannt werden.“ (Zitat, Quelle Wikipedia Undine geht)
Werke, Bd. 2. Erzählungen ©1978 Piper Verlag GmbH, MünchenErzählung, 1961, in: Das dreißigste Jahr, Zusammenfassung
Weitere Erzählformen des Undine-Themas:
Liber de nymphis, sylphis, pygmaeis et salamandris et de caeteris spiritibus, Paracelsus, 1566
Undine als Kunstmärchen von Friedrich de la Motte Fouqué, 1811
Der Fischer und seine Seele, Oscar Wilde, 1831
Die kleine Meerjungfrau, Hans Christian Andersen, 1837
Ondine, Jean Giraudoux, 1939
uvm.